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Die 2 Arten von Wissen im Buch der Gewißheit

Der folgende Text entstand als Vortrag für das Irfan-Kolloquium 2009

2 Arten von Wissen

Bahá'u'lláh schreibt im Buch der Gewißheit:

Merke wohl: Wissen ist von zweierlei Art, göttlich und satanisch. Das eine entspringt dem Born göttlicher Eingebung, das andere ist nur ein Spiegelbild eitler, dunkler Gedanken. Der Quell des einen ist Gott selbst, die Triebkraft des anderen sind die Einflüsterungen selbtsüchtiger Wünsche. Das eine ist geleitet von dem Spruch: »Fürchtet Gott; Gott wird euch lehren«, das andere bestätigt die Wahrheit: »Wissen ist der größte Schleier zwischen dem Menschen und seinem Schöpfer.« Die Früchte des einen sind Geduld, Sehnsucht, wahre Erkenntnis und Liebe, die des anderen nur Anmaßung, Hoffart und Dünkel.1

Welche Art von Wissen könnte Bahá'u'lláh hier jeweils meinen und wie kann Wissen eigentlich satanisch sein?

Einen ersten Hinweis auf göttliches Wissen liefert Abdu'l-Bahá in den Beantworteten Fragen:

Es gibt nur vier anerkannte Wege zur Einsicht, das heißt, die Wirklichkeit der Dinge wird durch diese vier Methoden verstanden.2

Abdu'l-Bahá nennt als diese 4 Methoden:

1. Die sinnliche Wahrnehmung. Diese ist fehlbar, wie Sinnestäuchungen beweisen. Abdu'l-Bahá schreibt:

Zum Beispiel ist der wichtigste Sinn die Kraft des Gesichts. Das Auge sieht die Luftspiegelung als Wasser an und hält im Spiegel erscheinende Bilder für wirklich und existierend; große Körper erscheinen in der Entfernung klein, und ein sich schnell im Kreise drehender Punkt sieht wie ein Kreis aus. Das Auge glaubt, die Erde stehe still, und sieht die Sonne in Bewegung und täuscht sich in vielen ähnlichen Fällen. Wir können uns deshalb nicht darauf verlassen.2

2. Der Verstand. Dieser ist fehlbar, da trotz durchdachter und nachvollziehbarer Argumentation, viele Philosophen und Wissenschaftler zu gegensätzlichen Schlüssen kommen. Abdu'l-Bahá schreibt:

Selbst Plato hat anfänglich die Unbeweglichkeit der Erde und die Bewegung der Sonne folgerichtig nachgewiesen; später bezeugte er mit konsequenter Beweisführung, daß die Sonne der ruhende Mittelpunkt ist und die Erde sich bewegt. Und noch später verbreitete sich die ptolemäische Lehre, und Platos Idee wurde völlig vergessen, bis sie schließlich ein neuer Beobachter wieder ins Leben rief. So standen alle Mathematiker in Widerspruch, obwohl sie sich auf Verstandesbeweise verließen. Auf diese Weise bewiesen sie zu einer bestimmten Zeit ein Problem mit logischen Argumenten, um es später mit Beweisen der gleichen Art zu widerrufen. So hielt ein Philosoph eine Zeitlang eine Theorie mit starken Argumenten und Beweisen standhaft aufrecht, bis er sie später zurückzog und mit verstandesbeweisen widerlegte. Es ist darum offenkundig, daß die Methode des Verstandes nicht vollkommen ist; denn die Widersprüche der alten Philosophen, der Mangel an Beständigkeit und der Wechsel ihrer Ansichten beweisen dies.2

3. Die Überlieferung durch heilige Schrift: Da die heiligen Schriften durch den Verstand interpretiert werden, ist diese Methode auch fehlbar.

Als einzigste unfehlbare Methode nennt Abdu'l-Bahá die vierte Methode:

Aber die Gnade des Heiligen Geistes verleiht die wahre Methode der Erkenntnis, die unfehlbar ist und nicht angezweifelt werden kann. Sie kommt durch die Hilfe des Heiligen Geistes, der dem Menschen erscheint, und ist die einzige Stufe, auf der Gewißheit erlangt werden kann.

Die Erkenntnis durch den heiligen Geist, scheint also das zu sein, was Bahá'u'lláh mit göttlichen Wissen meint, den der heilige Geist ist der Mittler zu den Menschen. Bedeutet dies aber umgekehrt auch das die anderen 3 von Abdu'l-Bahá beschriebenen Erkenntnismethoden gleichzusetzen sind mit dem was Bahá'u'lláh als "satanisches" Wissen bezeichnet?

Offensichtlich nicht unbedingt, denn Bildung und der Erwerb von Wissen (also solchen Wissens, welches durch sinnliche Wahrnehmung und durch Verstand gewonnen wurde) wird ja von der Bahá'í-Religion ausdrücklich bejaht, gefördert und erwünscht.

Abdu'l-Bahá schreibt in einem Sendschreiben:

Zwar bedeutet es den höchsten Ruhm der Menschheit, Wissenschaften und Künste zu erwerben, aber nur unter der Bedingung, daß des Menschen Strom in die mächtige See mündet und aus Gottes urewigem Quell Gottes Eingebung schöpft. Sobald das geschieht, ist jeder Lehrer ein uferloses Meer, jeder Schüler ein üppiger Springquell des Wissens. Wenn so das Streben nach Wissen zur Schönheit Dessen führt, der das Ziel allen Wissens ist, wie wunderbar ist dann die Absicht! Andernfalls mag vielleicht ein winziger Tropfen den Menschen vom Strom der Gnade fernhalten, denn mit Gelehrsamkeit gehen Hochmut und Stolz einher; das aber führt zu Irrtum und Gleichgültigkeit gegen Gott.3

Hochmut und Stolz

Abdu'l-Bahá erwähnt hier Hochmut und Stolz. Es scheint also so zu sein, das Wissen dann satanisch wird, wenn es zu Hochmut und Stolz führt. Bahá'u'lláh bestätigt dies im Buch der Gewißheit durch seine Ausführungen zu Hájí Mírzá Karím Khán:

So hat zum Beispiel ein Mann, der für seine Gelehrsamkeit berühmt war und sich selbst für einen der hervorragendsten Führer seines Volkes hielt, in seinem Buch alle Vertreter wahrer Gelehrsamkeit angeklagt und geschmäht, ...
Seine Werke in arabischer Sprache waren Uns jedoch nicht zugänglich, bis Uns eines Tages jemand mitteilte, daß eine seiner Schriften, `Irshádu'l-Avám`(Führung für die Unwissenden) betitelt, in dieser Stadt zu haben sei. Aus diesem Titel verspürten Wir den Geruch des Dünkels und der Eitelkeit; denn er hält sich selbst für einen Gelehrten und den Rest der Menschheit für »Unwissende«. Seinen tatsächlichen Wert läßt er gerade durch den Titel erkennen, den er für sein Buch gewählt hatte. Es wurde offenbar, daß der Verfasser dem Pfade des Selbstes und des Begehrens folgte und in der Wildnis des Unwissens und der Blindheit verlorengegangen war.
...
Dennoch sandten Wir nach dem Buch und behielten es einige Tage. Wir nahmen es wohl zweimal zur Hand. Das zweite Mal stießen Wir zufällig auf die Geschichte des »Mi'ráj«(Himmelfahrt) Muhammads, über den gesagt worden ist: »Wenn nicht für Dich, hätte Ich die Sphären nicht erschaffen«. Wir stellten fest, daß der Verfasser etwa zwanzig oder mehr Wissenschaften aufzählte, deren Kenntnis er als wesentlich betrachtete, um das Mysteriums des »Mi'ráj« zu verstehen. Seinen Ausführungen entnahmen Wir, daß wer nicht in diese Wissenschaften eingedrungen sei, niemals zum richtigen Verständnis dieses überragenden, erhabenen Gegenstandes gelangen könne. Unter den aufgeführten Wissenschaften waren Metaphysik, Alchemie und Naturmagie. Solche vergängliche, überholte Gelehrsamkeit hat dieser Mann als Vorbedingung für ein Verständnis der ewigen, geheiligten Mysterien göttlicher Erkenntnis angesehen!

Es geht also um Hochmut und Stolz und die daraus resultierende Verblendung! Bahà'u'lláh beschreibt das Phänomen des intellektuellen Stolzes anhand eines Gegners des Báb, aber man darf sich nichts vormachen: Dies ist genauso eine Warnung an jeden Bahá'í-Gelehrten!

Exkurs: Das Aufzeigen von Fehlern an dritten Personen

Abdu'l-Bahá erklärt in den Beantworteten Fragen, daß in der Vergangenheit die Offenbarer (wie etwa der Pentateuch beschreibt) oft sich selbst für Fehler angeklagt haben, die eigentlich Ihre Anhänger gemacht haben. Abdu'l-Bahá erklärt dazu:

Jedes tadelnde Wort Gottes bezieht sich, wenn es auch scheinbar den Propheten gilt, in Wirklichkeit auf die Menschen; es geschieht aus einer Weisheit, die reine Barmherzigkeit ist, damit die Menschen nicht entmutigt und verzagt werden. Darum scheint das Wort an die Propheten gerichtet; aber obwohl äußerlich für die Propheten, ist es in Wirklichkeit für die Menschen und nicht für die Propheten.5

Da Bahá'u'lláh klar erklärt hat, was die Stufe eines Offenbarers ist, kann er schlecht sich selbst anklagen. Er benutzt jedoch die Fehler seiner (und in diesen Fall des Bábs) Gegner für den selben Effekt: Die Fehler werden herausgestrichen um die eigenen Anhänger zu warnen nicht ebenfalls solche Fehler zu machen. Würde Bahá'u'lláh direkt seine eigenen Anhänger maßregeln, hätte dies keinen erzieherischen und nur abschreckenden Wert. Man könnte auch sagen es wäre undiplomatisch und Bahá'u'lláh sagt schließlich selbst das man bei der Lehrarbeit mit Weisheit und Milde vorgehen muß. Lehrarbeit nun wiederrum ist nicht nur das erzählen über die Bahá'í-Religion gegenüber Nicht-Bahá'í. Dies ist eigentlich nur eine von vielen möglichen Arten von Lehrarbeit, wenngleich im momentanen Zustand der Gesellschaft, sicherlich der wichtigste Aspekt von Lehrarbeit. Lehrarbeit ist aber in den Schriften Bahá'u'lláhs nie auf diese Tätigkeit eingegrenzt, sondern immer allgemein formuliert. Das Gebot Lehrarbeit zu machen, gilt außerdem auch dann noch weiterhin wenn alle Menschen bereits Bahá'í sind. Daher ist Lehrarbeit meiner Ansicht nach jede Form der geistigen Führung. Lehrarbeit kann auch gegenüber Bahá'í stattfinden, dann wird sie heutzutage meist Vertiefung genannt oder hier und heute auch Irfan-Kollouquium. Selbst ein nicht religiöses Gespräch kann Lehrarbeit sein, wenn dieses zur geistigen Entwicklung einer Person beiträgt. Bahá'u'lláh schreibt im Lawh-í-Maqsúd:

Jedes Wort ist mit einem Geist versehen. Deshalb sollte der Redner oder Erklärer seine Worte zur rechten Zeit am rechten Ort äußern; denn der Eindruck, den jedes Wort hinterläßt, liegt klar und spürbar zutage. Das Erhabenste Wesen spricht: Ein bestimmtes Wort mag dem Feuer zu vergleichen sein, ein anderes dem Lichte, und der Einfluß, den beide üben, ist in der Welt offenbar. Darum sollte ein aufgeklärter, weiser Mensch vornehmlich in Worten reden, die sanft wie Milch sind, damit seine Worte die Menschenkinder nähren und erbauen, so daß sie das höchste Ziel menschlichen Daseins erreichen: die Stufe wahren Verstehens und geistigen Adels.

In diesem Sinne hat sich eben auch Bahá'u'lláh verhalten, wenn er Fehler aufzeigt im Verhalten seiner Feinde und dies als Warnung benutzt, für jeden Bahá'í.

Obwohl hier also äußerlich gesehen Haji Mirza Karim Khan angesprochen wird (der diese Zeilen vermutlich nie gelesen hat), ist es vor allem ein Beispiel was intellektueller Stolz bewirkt und wohin er führt. Im Beispiel Karims führte er zur Ablehnung des Báb, ja sogar zur Feindschaft gegenüber dem Báb. Dabei schreibt Bahá'u'lláh auch im Buch der Gewißheit, das das Ziel des Menschens das Erreichen der göttlichen Gegenwart ist, welche nichts anderes ist, als das erreichen der Gegenwart seines Offenbarers:

... ist doch die höchste, alles übertreffende dem Menschen gewährte Gnade, »in Gottes Gegenwart zu gelangen« und Ihn zu erkennen, wie es allem Volke verheißen ist. Dies ist die höchste Gnade des Altehrwürdigen, des Gnadenvollen, für den Menschen, die Fülle Seiner grenzenlosen Güte für Seine Geschöpfe.6

Ende des Exkurses und zurück zum Gelehrtenstolz.

Gelehrsamkeit und Loslösung

Bahá'u'lláh beschreibt im Buch der Gewißheit was in jeder Sendung zur Ablehnung der Offenbarer geführt hat. Er gibt dabei die Hauptschuld den Geistlichen und Gelehrten. Ein Thema das fast das ganze Buch der Gewißheit durchzieht. Warum sind ausgerechnet die gebildeten Geistlichen und Gelehrten die Hauptwiedersacher der Offenbarer? Weil sie so viel zu verlieren haben! Die Geistlichen und Gelehrten haben Ihre Theorien über die Schriften ihrer Religion zusammengezimmert, Bücher darüber geschrieben, vielleicht sogar Anhänger um sich geschart, die ihren Vorträgen lauschen. Nun kommt einer daher und sagt ihnen das sie mit ihren Theorien im Unrecht sind und alles ganz anders ist. Für einen der selber nicht viel wußte ist es viel einfacher so einer neuen Lehre zu folgen, als für einen der jetzt zugeben müßte: Alles was ich bisher gesagt habe war falsch. Er würde alles verlieren: Sein Ansehen, seine Anhänger, seine Titel. Es geht also um Loslösung.

Attar schreibt in seinen Vogelgesprächen:

Der Scheich Abu Bekr aus Nishapur

Eines Tages verließ der Scheich in Begleitung seiner Schüler sein Kloster. Er ritt auf seinem Esel, während seine Begleiter ihm zu Fuß folgten. Plötzlich ließ der Esel mit lautem Geräusch einen Wind fahren. Da stieß der Scheich einen Schrei aus und zerriß seine Khirka. Seine Schüler schauten ihn erstaunt an, und einer fragte ihn, warum er das getan habe. Da antwortete der Scheich: "Als ich mich umblickte und die große Anzahl meiner Gefolgsleute sah, dachte ich bei mir: Nun kann ich mich wirklich mit Bayazid (berühmter persischer Sufi) vergleichen. Heute bin ich in Begleitung vieler ernsthafter Schüler; so werde ich morgen zweifellos in Ruhm und Ehre über die Ebene der Auferstehung reiten." Und er fügte hinzu: "In dem Augenblick, als ich so mein künftiges Schicksal vor mir sah, gab mein Esel dieses scheinbar ungebührliche Geräusch von sich, das ihr gerade gehört habt. Damit wollte er sagen: Das ist die Antwort eines Esels auf solch anmaßende, eitle Gedanken! Deshalb fiel das Feuer der Reue so plötzlich auf meine Seele, ich änderte meine innere Einstellung, und der hohe Rang den ich zu haben glaubte stürzte in sich zusammen."8

Es ist also nicht der Erwerb weltlichen Wissens, der schlecht ist, sondern nur Hochmut und Stolz welcher damit einher gehen kann. Es ist genauso, wie mit dem Besitz materieller Dinge: Der Besitz der Dinge an sich ist nicht schlecht, erst wenn man sein Herz daran bindet und verhaftet, dann wird der Besitz weltlicher Güter schlecht. Ebenso auch mit Wissen: Der Erwerb von Wissen ist gut, aber wenn er zu Stolz und Hochmut führt, ist er schlecht.

Dauerhaftigkeit von Wissen

Beim Besitz weltlicher Güter ist jedem klar, dass er mit dem Tod endet. Wie ist das eigentlich mit Wissen?

Die weltliche Form des Wissens mag zwar auch noch in eine geistige Welt mitgenommen werden können, aber sie nutzt einen dort nichts mehr. Was soll es einem nützen, physikalische Naturgesetze zu kennen, wenn diese in einer rein geistigen Welt keine Anwendung finden? Was soll es einem nützen, Fremdsprachen zu können, wenn es in der geistigen Welt keiner Sprachen mehr bedarf? Damit ist weltliches Wissen genauso vergänglich, wie der Besitz irdischer Güter!

Mehr noch: Betrachten wir die Wissenschaft. Wissenschaftliche Erkenntnis macht ständig Fortschritte. Dinge, die man vor 10 Jahren noch glaubte zu wissen, werden plötzlich wieder völlig umgeworfen und Dinge, die die Wissenschaft vor Jahrhunderten als gesichert annahm, würden heutzutage sogar als Aberglauben verlacht werden!

Vor 1000 Jahren glaubten manche sogenannten Gelehrten, die Welt sei eine flache Scheibe, heutzutage Aberglaube. Vor hundert Jahren glaubte man, das Atom sei unteilbar. Inzwischen längst wiederlegt.

In die Zukunft gedacht heißt das auch, daß man davon ausgehen kann, dass das, was uns die Wissenschaft heute sagt, möglicherweise zukünftigen Generationen wie regelrechter Aberglaube vorkommen könnte, zumindest aber als nur sehr vager, kleiner Teil der Wahrheit.

Manche Leute glauben bei wissenschaftlichen "Durchbrüchen" immer mal wieder: "Jetzt wissen wir alles", nur um kurze Zeit später eines Besseren belehrt zu werden. Jeder ernsthafte Wissenschaftler gibt letztendlich zu, dass unser Wissen über die Vorgänge in der Welt nur sehr gering ist. Letztlich ist es sogar so, dass jede Frage, die die Wissenschaft beantwortet, zehn neue Fragen auftut. Man kann auch sagen: Je mehr wir wissen, desto klarer wird, dass wir in Wahrheit nichts wissen.

Unerkennbarkeit

Dieses Wissen ums nichts Wissen führt zurück zu einem Thema der Bahá'í-Religion: Gott ist unerkennbar! Wir könnnen über ihn ebenfalls nichts wissen. Unerkennbarkeit bedeutet, die Unfähigkeit zu Erkenntnis, also letzlich zu Wissen, zu gelangen.

Das wir mit zunehmenden Wissen merken, wie wenig wir wissen, kann auch als ein Zeichen für die Unerkennbarkeit Gottes gesehen werden. Ebenso macht es demütig zu erkennen, dass man in Wahrheit nichts weiß. Demut aber ist wovon das Gegenteil? Von Stolz und Hochmut!

Hier schließt sich der Kreis: Bildet man sich auf das eigene Wissen etwas ein, wendet man sich vom unerkennbaren Gott ab. Erkennt man mit zunehmenden Wissen, wie wenig man weiß, steht man staunend und demütig vor der Unerkennbarkeit Gottes!

Die göttliche Seite

Eine Frage bleibt aber noch: Wenn intellektueller Stolz und Hochmut die "satanische", d. h. die sich von Gott abwendende, Seite des Wissens ist, was meint Bahá'u'lláh dann mit der göttlichen Seite? Was ist damit gemeint, wenn Abdu'l-Bahá von der Erkenntnis durch den Heiligen Geist spricht?

Abdu'l-Bahá spricht davon, dass diese Erkenntnis Sicherheit verleiht und unfehlbar ist. Also kann man sich überlegen, welche Erkenntnis als wirklich "sicher" gelten kann. Oder umgekehrt: Gibt es Menschen, die auch Erkenntnisse anzweifeln, die als gesichert gelten?

Ja, die gibt es, z. B. Verschwörungtheoretiker. Beispiel: Vor Kurzem war der vierzigste Jahrestag der Mondlandung. In den USA gibt es eine Reihe von Leuten, die glauben, dass die Mondlandung nie stattgefunden hat. Sie halten die Mondlandung für eine gigantische Betrugsgeschichte. Sie führen auch verschiedene "Beweise" dafür an.

Ebenso gibt es sogar eine kleine Gruppe von Leuten, die glaubten das die Erde eine flache Scheibe ist und sämtliche Nasa-Aufnahmen gefälscht sind.

Das zeigt: Alles, was manche Menschen als wirklich gesicherte und eindeutig wahre Erkenntnis ansehen, können andere Menschen auch anzweifeln (und zwar mit Argumenten und Beweisen). Jeder kann, wenn er will, alles anzweifeln. Argumente lassen wir oft nur gelten, wenn diese uns gerade in den Kram passen, denn unsere Wahrnehmung arbeitet selektiv.

Dennoch sind sich viele Menschen bei vielen Dingen "absolut" sicher. Wir als Bahá'í sind uns ebenso des göttlichen Ursprungs der Offenbarung Bahá'u'lláhs sicher, obwohl dies, im Gegensatz zur Ablehnung abstruser Verschwörungstheorien, nicht von einer Mehrheit geteilt wird.

Hier geht es also um etwas, das uns tief in unserem Inneren sagt, dass es so sein muß, dass es gar nicht anders geht, dass es eine Erkenntnis ist, die wir nicht einfach beiseite schieben können. Also ist es eine "sichere" Erkenntnis, eine Erkenntnis vermittelt durch den Heiligen Geistes, in dem Sinne wie es Abdu'l-Bahá gesagt hat. Selbst wenn solch eine Erkenntnis nicht für jeden Menschen gilt (wie vorher ausgeführt), so ist sie doch für den jeweiligen einzelnen "erkennenden" Menschen absolut gültig und zwingend.

Natürlich können solche Erkenntnisse noch weiter gehen, sogar wesentlich weiter, als das, was wir gemeinhin als gesichert wahrnehmen. Mystische Erfahrungen und Erkenntnisse aus mystischem Erleben sind ein direkter Weg der Erkenntnis, die der Vermittlung des heiligen Geistes zu verdanken ist. Sie sind nicht abhängig von erworbenen Wissen.

Bahá'u'lláh schreibt im Buch der Gewißheit, dass alle existenten Dinge Zeichen der Offenbarung Gottes sind. Er schreibt:

... alles in den Himmeln und auf Erden ist ein unmittelbarer Beweis dafür, daß sich darin Gottes Attribute und Namen offenbaren, da jedes Atom die Zeichen verwahrt, welche für die Offenbarung des Größten Lichtes beredtes Zeugnis ablegen. Mich dünkt, ohne die Wirkkraft dieser Offenbarung könnte kein Wesen je bestehen. Wie hell strahlen die Leuchten der Erkenntnis in einem Atom, wie weit hin wogen die Meere der Weisheit in einem Tropfen! In höchstem Grade gilt dies für den Menschen, der von allem Erschaffenen mit dem Gewande solcher Gaben bekleidet und für die Herrlichkeit einer solchen Auszeichnung auserkoren wurde! Denn in ihm sind alle Namen und Attribute Gottes potentiell in einem Maße offenbart, das von keinem erschaffenen Wesen übertroffen wird. Alle diese Namen und Eigenschaften treffen auf ihn zu. So hat Er gesagt: »Der Mensch ist Mein Geheimnis, und Ich bin sein Geheimnis.« ...9

Die direkte Erlangung von Erkenntnis mittels der Erkenntnis der Zeichen Gottes in der Welt und in uns selbst, ist göttliche Erkenntnis in mystischer Form, ist eine mystische Erfahrung.

Bahá'u'lláh schreibt im Buch der Gewißheit:

Sollten sie behaupten, »Offenbarung« Gottes sei im Sinne einer »allumfassenden Offenbarung« zu verstehen, so ist doch offenkundig, daß eine solche Offenbarung bereits in allen Dingen vorhanden ist. Diese Wahrheit haben Wir schon begründet, denn Wir haben ausgeführt, daß alle Dinge Empfänger und Offenbarer der Strahlen jenes wahren Königs sind und daß die Zeichen der Offenbarung jener Sonne, des Quells allen Strahlenglanzes, in den Dingen gespiegelt, vorhanden und sichtbar sind. Fürwahr, schaute der Mensch mit dem Auge geistiger und göttlicher Unterscheidung, so würde er gar bald erkennen, daß nichts bestehen kann ohne die Offenbarung der Strahlen Gottes, des wahren Königs. Sieh, wie beredt alles Erschaffene die Offenbarung dieses inneren Lichtes in ihnen bezeugt. Sieh, wie in allen Dingen die Tore zum Ridván Gottes geöffnet sind, so daß die Sucher zu den Städten der Erkenntnis und Weisheit gelangen und eingehen in die Gärten des Wissens und der Macht. Jeder Garten läßt sie die mystische Braut der inneren Bedeutung in den Kammern der Rede in all ihrer Lieblichkeit und im schönsten Schmucke erblicken. Die meisten Verse des Qur'án verkünden und bezeugen dieses geistige Thema. Der Vers: »Und nichts gibt es dort, das nicht Sein Lob anstimmt«, ist ein beredter Beweis dafür, und: »Wir bemerkten alle Dinge und schrieben sie nieder«, ist ein glaubwürdiger Zeuge.10

Solche mystischen Erfahrungen sind unabhängig von erworbenen Wissen, allerdings kann erworbenes Wissen dabei helfen, sie zu interpretieren.

Das Ziel der Erkenntnis

Was ist eigentlich das Ziel der Erkenntnis? Gott! Im kurzen Pflichtgebet heißt es:

Ich bezeuge, oh mein Gott, daß du mich erschaffen hast, Dich zu erkennen und anzubeten.

Wenn nun aber doch Gott, wie wir ja ebenso aus den Schriften Bahá'u'lláhs wissen, unerkennbar ist, wie kann es dann meine Aufgabe sein etwas Unerkennbares zu erkennen? Fordert Gott von uns das Unmögliche? Die Antwort hierauf kann eine zweifache sein. Zum einen gibt Bahá'u'lláh selbst hierauf eine Antwort, indem Er schreibt:

O Meine Diener, könntet ihr begreifen, mit welchen Wundern Meiner Großmut und Freigebigkeit Ich euere Seelen betrauen will, ihr würdet euch in Wahrheit von der Bindung an alles Erschaffene lösen und wahre Erkenntnis eurer selbst gewinnen - eine Erkenntnis, die das gleiche ist wie das Begreifen Meines eigenen Seins.12

Dass Selbsterkenntnis das gleiche ist, wie die Erkenntnis Gottes, kam vorher bereits zum Ausdruck, da sich dies logischerweise daraus ergibt, dass alle erschaffenen Dinge die Offenbarer der Namen und Eigenschaften Gottes sind und der Mensch dies im höchsten Maße verkörpert. Darum heißt es ja auch, daß der Mensch nach dem Ebenbild Gottes erschaffen ist (vergleiche z. B. Verborgene Worte arabisch 3).

Die andere Antwort auf die Frage nach dem Erkennen von etwas Unerkennbaren klang ebenfalls bereits an: Auch die Erkenntnis der Unerkennbarkeit ist eine Erkenntnis, sogar eine sehr fortgeschrittene! Bereits Sokrates sagte: Ich weiß, dass ich nichts weiß! Diese Erkenntnis der Unerkennbarkeit führt zu Demut und zur Unterwerfung unter den Willen Gottes. Gestehe ich mir meine eigene Ohnmacht ein, dann gestehe ich damit auch gleichzeitig die Macht und überragende Größe Gottes ein. Das "Ich" verschwindet und das Göttliche blinzelt durch.

Fazit

Insgesamt kann man also über die 2 Arten von Wissens sagen: Göttliches Wissen ist das erkennen durch den heiligen Geist, das Sicherheit verschafft und unabhängig von erworbenen Wissen ist. Erworbenes Wissen kann sowohl schlecht als auch gut sein. Führt es zu Stolz und Hochmut ist es schlecht. Geht es einher mit Demut und im Bewußtsein der eigenen Grenzen ist es gut, wenngleich es trotzdem nicht mit dem göttlichen Wissen gleichgesetzt werden kann.

Abschluß

Abschließend möchte ich noch sagen: Ich bin ganz froh das Bahá'u'lláh in dieser göttlichen Sendung auch hochgebildete Menschen willkommen heißt:

Einer der Beweise für die Wahrheit dieser Offenbarung ist, daß in allen Zeitaltern und allen Sendungen, wann immer sich das unsichtbare Wesen in der Gestalt Seiner Manifestation offenbarte, einige unbekannte, von allen weltlichen Bindungen losgelöste Seelen bei der Sonne des Prophetentums und dem Monde göttlicher Führung Erleuchtung suchen und zur göttlichen Gegenwart gelangen. Darum pflegen die Geistlichen und die Reichen dieser Zeit solche Menschen zu schmähen und zu verspotten. So hat Er über diese Irrenden offenbart: »Da sprachen die Oberen Seines Volkes, die nicht glaubten: `Wir sehen in Dir nur einen Menschen gleich uns, und wir sehen Dir nur die Niedrigsten folgen mit voreiligem Urteil; wir sehen in euch auch keinen Vorzug über uns. Nein, wir halten euch für Lügner.`«¹ Sie schmähten die heiligen Manifestationen und redeten wider sie: »Keiner ist euch gefolgt außer dem Gesindel, das keiner Beachtung wert ist.« Damit wollten sie hervorheben, daß keiner von den Gelehrten, den Reichen und Angesehenen an sie glaubte. So und mit ähnlichen Gründen versuchten sie, die Falschheit Dessen zu beweisen, der nur die Wahrheit spricht.

In dieser strahlendsten Sendung jedoch, unter dieser mächtigsten Souveränität sind eine Reihe erleuchteter Geistlicher, Männer von vollendeter Bildung, Doktoren von reifer Weisheit, an Seinen Hof gelangt. Sie haben aus dem Kelch Seiner göttlichen Gegenwart getrunken und die Ehre Seiner alles überragenden Gunst empfangen. Um des Geliebten willen haben sie der Welt und allem darinnen entsagt.13

Ich bin also dankbar, auch als "Studierter" zum Glauben gefunden zu haben.